MSC – Siegel des Marine Stewardship Council

Bereits seit 2007 arbeiten die Garnelenfischer in Holland und Dänemark daran, dass ihre Krabben das Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) tragen dürfen. Die deutschen Fischer begannen 2010 mit dem aufwendigen Verfahren. Alle drei Länder haben den Prozess abgebrochen, aber nicht um aufzugeben: Gemeinsam, mit frischem Elan und einem professionellen Projektmanagement, starten sie neu durch. Dr. Ralf Vorberg ist seit 25 Jahren mit Fragen rund um die Garnelenfischerei beschäftigt und ist einer der Projektmanager im Zertifizierungsprozess. Wir haben mit dem Meeresbiologen gesprochen.

 

Herr Vorberg, Sie waren bereits beim ersten Versuch das MSC-Siegel zu erlangen als Experte für die Fischer zuständig. Was läuft denn jetzt anders und besser?

Dazu muss ich etwas ausholen: Es gab damals inhaltliche Probleme bei der Umsetzung. Um das zu verstehen, muss man das MSC-Verfahren verstehen. Es basiert auf drei Prinzipien: Die Fischerei muss nachweisen, dass der Bestand nachhaltig bewirtschaftet wird, dass das Ökosystem schonend behandelt wird, also möglichst wenig andere Arten von der Fischerei beeinträchtigt werden, und dass es verbindliche Richtlinien gibt, nach denen gearbeitet wird. Ein so genanntes Management-System. 

Dieses Management gab es bei den Garnelenfischern nicht, weil immer viele Garnelen da waren. Es war schlicht nicht nötig! Man musste noch nie regulierend in diese Fischerei eingreifen, weil es nie Bestandsprobleme gab, die bei anderen Fischereien in Europa zu einem umfangreichen Quoten- und Regulierungssystem geführt haben. So ein System aus dem Boden zu stampfen war und ist eine Herkulesaufgabe für die Garnelenfischerei.

 

Was ist die zentrale Herausforderung?

Man muss wissen, dass viel Forschungsarbeit nötig ist, um verlässliche Daten zu generieren, auf denen ein Managementsystem basiert. Hinzu kommt, dass die Nordseegarnelen nur schwer und zudem aufwendig zu erforschen sind, u. a. weil die Art extrem kurzlebig ist.

Selbst mit viel gutem Willen dauert es lange, bis so ein Prozess in Bewegung kommt. Es gibt in Europa ein Gremium, das für Fischerei zuständig ist, der International Council for the Exploration of the Sea, kurz ICES. Das ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus mittlerweile 20 Ländern mit Hauptsitz in Kopenhagen. Der ICES hat eine Arbeitsgruppe, die sich um Krabben kümmert. Aber die tagen leider nur einmal im Jahr. So dauerte es eben zwei Jahre, bis sich die ICES-Arbeitsgruppe mit den Fragen zum Management der Garnelenfischerei beschäftigt hat. Mit dem Zeitverlust geht natürlich auch viel Geld einher, denn alle die damit zu tun haben, müssen bezahlt werden. Die Holländer haben Ende 2014 entschieden: Wir hören erstmal auf. Und Deutschland hat sich angeschlossen. Die Dänen waren von Anfang an immer dabei, haben inhaltlich alles mitgetragen. Als Gruppe sind sie mit 28 Fischern sehr übersichtlich.

Das Verfahren wurde also offiziell beendet. Bereits Anfang 2015 haben wir darüber nachgedacht: Wie kann man es denn besser machen? Eine Forderung des MSC lautet, dass der Gesamtbestand der Garnele bewertet werden muss. Und da das Tier sich nicht an festgelegte Grenzen hält, lässt sich der Bestand nicht national aufteilen. Also: Wir machen das alle gemeinsam und nehmen alles Gelernte der vergangenen Jahre mit.

 

Klingt einfach...

Gar nicht einfach. Es geht ja schon damit los, dass es nicht ganz einfach ist, holländische und deutsche Fischer an einen Tisch zu bringen. Das war in der Vergangenheit schon schwierig. Aber es ist uns mittlerweile gelungen, ein Projekt mit einem professionellen Projektmanagement auf die Beine zu stellen, in denen Vertreter aller drei Länder tatsächlich auch für die jeweiligen Fischer sprechen können. Die Projektgruppe besteht also aus drei Ländervertretern und drei Projektmanagern. Einer davon bin ich. Diese Projektgruppe wird kontrolliert von einer trilateralen Steuergruppe, bestehend aus zwei Vertretern je Land. Die haben das letzte Wort. 

 

Wie muss man sich das inhaltlich vorstellen?

Wir als Projektgruppe erarbeiten inhaltlich alle Anforderungen von MSC. Da sind dann zwangsläufig Vorschläge dabei, von denen wir wissen, dass die Fischer das nicht supertoll finden. Da haben wir dann schon die Schere im Kopf – wie weit können und wollen wir gehen? Den bei uns erarbeiteten Kompromiss legen wir der Steuergruppe vor. Die berät und hebt oder senkt den Daumen. Im Zweifel müssen wir neu nachdenken. Bei einem „Ja“ verlangen wir dann aber auch, dass das Ergebnis von den jeweiligen Vertretern bei den Fischern durchgesetzt wird. Sonst kommen wir nicht weiter. Wir können nicht jedes Mal eine Abstimmung unter 490 Fischern durchführen, um einen kleinen Schritt voran zu gehen. 

 

Von wie vielen Anforderungen reden wir hier?

Unsere Arbeitsschritte und Meilensteine haben wir bis Mitte 2016 zwar formuliert, aber eine Maßnahme bedingt oft die nächste, es gibt Wechselwirkungen, viele brauchen Zeit. In unserem Managementplan stehen derzeit rund 100 Punkte, die miteinander verknüpft sind. Im Idealfall einer mit dem anderen. Aber leider oft einer mit weiteren fünf oder mehr. Daraus entsteht eine hohe Komplexität. 

Ein gutes Beispiel für die Komplexität ist vielleicht die Nachfrage unseres Zertifizierungsbüros aus Schottland. Das Team konnte schon in den ersten Verfahren der holländischen und deutschen Garnelenfischerei umfangreiche Erfahrungen sammeln. Vor dem offiziellen Start sind nun vertragliche Details zu klären. So möchte das Büro nähere Informationen über 490 einzelne Fischkutter in Holland, Deutschland und Dänemark haben. Nachgefragt wurde nicht nur jeder einzelne Kuttername, die dazugehörigen Kennungen, Längenangaben und Motorleistungen, sondern auch noch Größe und Gewicht der Fanggeräte an Bord. Wir haben die notwendigen Daten zusammengetragen, was schon deshalb nicht ganz einfach ist, weil Kutter außer Dienst gestellt werden, den Besitzer wechseln, den Namen wechseln, gegen einen anderen Kutter ausgetauscht oder auch mal umgebaut werden. Nahezu unbekannt sind die exakten Daten zum Fanggerät. Um diese zu ermitteln, muss zunächst festgelegt werden, wie die Länge eines Kurrbaums gemessen wird: Gesamtlänge oder nur zwischen den Kurrschuhen? Für das Gewicht des Fanggeschirrs ist zu klären, ob nass oder trocken gewogen wird. Die Projektgruppe diskutiert solche Fragen und trifft schließlich Entscheidungen, die dann aber noch von der Steuergruppe besprochen und akzeptiert werden müssen. Im konkreten Fall muss nun ein unabhängiger Kontrolleur beauftragt werden, um die fehlenden Gewichtsangaben von jedem einzelnen Kutter einzuholen. In Deutschland ist das bereits geschehen, in Holland und Dänemark läuft die Suche nach Kontrolleuren.

 

Da drängt sich die Frage nach Ihrem Zeitziel auf. Wann wollen Sie Ihr Aufgabenpaket abgearbeitet haben?

Spätestens bis Ende 2016 soll unsere Arbeit abgeschlossen sein. Wir haben jetzt viel zu tun und hoffen, dass wir noch in diesem Jahr das mehrere 100 Seiten starke Schriftstück an die Zertifizierer übergeben können, mit dem die Garnelenfischerei hinsichtlich der MSC-Anforderungen umfassend beschrieben wird. Der Rest passiert dann im Dialog mit den Zertifizierern. Unser Team muss für die einzelnen Schritte immer verfügbar sein. Das kann sich dann nochmal ein halbes oder ein Jahr hinziehen. Das liegt aber nicht mehr in unserer Hand.

 

Stichwort Dialog – sieht das Verfahren auch eine Form der Beteiligung vor?

Unbedingt! Die Zertifizierer sind verpflichtet, sich umfassend zu informieren. Nicht nur durch uns, sondern durch jeden, der etwas zum Thema zu sagen hat. MSC dokumentiert jeden Schritt des Prozesses im Internet und ruft vor jeder Entscheidung die Stakeholder auf, sich zu Wort zu melden. Das kann virtuell, aber auch vor Ort geschehen. Vorgeschrieben sind so genannte „Site visits“. Die Zertifizierer kommen in die Häfen, schauen sich alles an, lassen sich Dinge erklären und sprechen mit allen, die das wollen. 

 

Was sind das für Stakeholder, die sich zu Wort melden?

Die Motivationen etwas zu sagen sind vielfältig. Natürlich ist der nachgeschaltete Handel interessiert, es gibt in jedem Küstenort Menschen, die Krabben kaufen oder verarbeiten. Dann wird es sicher auch den einen oder anderen Vertreter von Naturschutzverbänden, aus Umwelt-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerien, Fischereiverwaltungen und aus der Forschung geben. Jeder Fischer kann Fragen stellen, jeder, der einen Fischer kennt oder solche, die einfach schon mal ein Krabbenbrötchen gegessen haben. Betroffenheit ist ein weiter Begriff. Die Beteiligung ist extrem vielfältig und kann sehr umfangreich werden. Ich habe einen dieser „Site visits“ in Holland mitgemacht, da saßen wir geschlagene vier Tage à 10 Stunden mit Leuten zusammen und haben uns angehört, was sie zu sagen haben.

 

Gehen Sie davon aus, dass dann alle Fischer hinter dem Verfahren stehen, das Sie verteten?

Das muss ich, sonst kann ich nicht weiter machen. Aber die Frage ist natürlich absolut berechtigt. Das Verfahren ist ja nicht aus einer Laune heraus entstanden. Wir sind mittlerweile soweit, dass wir über die Ländergrenzen hinweg 90 Prozent aller Fischer hinter uns haben. Natürlich braucht es viel Überzeugungsarbeit, dass diese 90 Prozent auch Bestand haben und sich den 100 Prozent annähern. 

 

Gibt es aktuell Alternativen zum MSC-Siegel?

Aus meiner Sicht nicht. Der Druck der Verbraucher wird mittlerweile von den Großhändlern gespürt und massiv an die Fischerei weitergegeben. Ohne das Siegel werden die Krabben mittelfristig aus den Regalen der Supermärkte verschwinden. Nordseegarnelen sind ein Nischenprodukt. Der Wert steckt bei den Fischern und in der daran hängenden Wertschöpfungskette. Es wäre fatal, wenn die Fischer auf ihrem Produkt sitzen blieben. Das ist momentan der größte Druck, der auf die Fischer wirkt – das haben noch nicht alle verstanden. Den Handel wird das nicht weiter interessieren. 

 

Ihre Sicht als Meeresbiologe - ist das MSC-Siegel ein sinnvolles Tool oder zugespitzt gesagt „reines Marketing“? 

Ja, es ist sinnvoll. Es ist nicht perfekt, aber die Menschen hinter der Organisation sind unabhängige und fachlich sehr gute Wissenschaftler. Die zertifizierten Fischereien mussten wirklich viel tun, um das Siegel zu bekommen. Im Sinne von Naturschutz und nachhaltiger Nutzung verbessert sich aber auch sehr viel.

 

War die Entscheidung für den gemeinsamen Weg denn richtig? Läuft die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern gut?

Ja, sehr gut! Sehr effektiv. Mein Projektmanagement-Kollege hat zum Beispiel nichts mit der Fischerei zu tun, ist aber ein erfahrener und sehr akribischer Projektmanager, der den Prozess gnadenlos vorantreibt. Wir - die gesamte Projektgruppe - sind ein gutes Team. 

 

Danke für das Gespräch und viel Erfolg!

 

Dr. Ralf Vorberg (55), ist Meeresbiologe und Projektmanager des trilateren MSC-Zertifizierungsverfahrens der Garnelenfischerei in der Nordsee. 

 

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